Gedenkandacht am Zwangsarbeiterdenkmal
Schweinfurt-Oberndorf, 29. September 2014. Pfarrerin Christhild Grafe gab per Klangschale das Tonzeichen zum Stillwerden. Am Gedenkort beim ehemaligen Zwangsarbeiterlager Mittlere Weide waren in diesem Jahr fast 50 Konfirmanden, hingegen nur wenige Erwachsene zusammengekommen. Nachdem sich die Stadt Schweinfurt, in Kooperation mit der „Initiative gegen das Vergessen“, durch die Errichtung des Zwangsarbeiterdenkmals vor drei Jahren ihrer Vergangenheit gestellt hatte, finden seitdem dort jährlich von der evangelischen Kirche organisierte Andachten statt. Diesmal hatten die Auferstehungs-, Christus-, Dreieinigkeits-, Gustav-Adolf- und Kreuzkirche gemeinsam die geistliche Stunde vorbereitet.
Vor allem Jugendliche sollen sich mit der Lokalgeschichte auseinandersetzen, um sie vor dem Vergessen zu bewahren. Man wolle Erinnerungskultur stiften, führte Pfarrerin Grafe aus, aber diese auch wahrnehmen als Teil unseres Lebens, um die eigene Wachsamkeit zu schulen. Das Thema in Anlehnung an das gleichnamige Lied der Musikgruppe „Unheilig“ lautete: „Geboren, um zu leben“. Die Jugendband der Auferstehungskirche, geleitet vom Gemeindereferenten Johannes Michalik, trug einfühlsame Gesangsstücke, bezogen auf den Anlass des Beisammensein, bei, etwa: „So still und so verloren gingst du fort (…) So still, obwohl ich dich mit jedem Tag vermiss“.
Pfarrer Harald Deininger schilderte das Schicksal der über 10.000 aus ihrer Heimat verschleppten, vor allem jungen Menschen, die hier in Baracken leben und ohne Bezahlung für die Schweinfurter Rüstungsindustrie arbeiten mussten, - viele erst so alt wie die Konfirmanden. Diese informierten sich an fünf verschiedenen Stationen, wo entsprechende Texte angebracht waren, über die Art der Arbeiten, die die Zwangsrekrutierten verrichten mussten, und auf welche Weise ihre Menschenwürde dabei verletzt wurde.
Ulrike Cebulla von der „Initiative gegen das Vergessen“, die bereits zwei Mal in die Ukraine gereist war, um mit noch lebenden ehemaligen Zwangsarbeitern und deren Familien zu sprechen, stand danach den Konfirmanden für eine Fragerunde zur Verfügung, etwa warum sich die Verschleppten nicht zur Wehr gesetzt hätten. Es sei ihnen aufgrund ihrer körperlichen Verfassung und der strengen Lagerbedingungen gar nicht möglich gewesen, antwortete Cebulla und appellierte an Mitgefühl und Unterstützung heute gerade für Menschen, die einem fremd vorkommen würden.
Pfarrerin Eva Loos ließ acht verteilte Rosen am Gedenkort niederlegen – die Acht: Symbol der Auferstehung Jesu als Neuschöpfung der Welt am achten Tag! Sie sollten die Hochachtung vor jedem Einzelnen zum Ausdruck bringen, aber auch die Trauer über die nicht mehr Lebenden, genauso wie die Erinnerung an die Täter und diejenigen, die damals weggeschaut haben, wach halten, ferner ein Zeichen der Versöhnung sein, dass alte Wunden heilen.
Wie bereits in den letzten Jahren wurde die eindrucksvolle Gedenkandacht beschlossen mit gemeinsamem Lesen des Stuttgarter Schuldbekenntnisses vom 18./19. Oktober 1945: „Wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben …“
Zur Erinnerung:
- Bericht über die Einweihung des Gedenkortes 2011: https://www.schweinfurt-evangelisch.de/inhalt/archiv-2011ii-juli-dezember (Nr. 8 u. Nr. 10)
- Bericht über die Andacht 2012: https://www.schweinfurt-evangelisch.de/965.php (bitte scrollen zu: "Eindrucksvolle Erinnerungskultur")
- Bericht über die Andacht 2013: https://www.schweinfurt-evangelisch.de/inhalt/ein-fingerzeig-zum-guten
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