"Luther ist humaner"

Reflexion der Partnerschaftsreise zu Luther-Stätten

Innigste Verbundenheit: Dekan Oliver Bruckmann/SW u. Pastor Rolf Rieck/Rio

Donnerstag, 03. August 2017. „Es war eine unvergessliche Reise“, so eine brasilianische Teilnehmerin. Und sie dankte „für eure Liebe, Geduld, Gastfreundschaft und Hingebung“. Ein anderer: „Es war ein Traum, dieser Reise beizuwohnen.“

Aber es sollte nicht bei nostalgischen Erinnerungen bleiben. Vielmehr galt es am letzten gemeinsamen Nachmittag, Resümee zu ziehen. Deshalb kamen die Brasiliengruppe mit ihren deutschen ReisebegleiterInnen und BetreuerInnen zu einem Auswertungstreff, zu einer Reflexionsrunde in der „Arche“ Dittelbrunn zusammen: Was hat denn die Reise auf Luthers Spuren insbesondere für die Partnerschaft gebracht?

In Kleingruppen, verteilt über alle Gemeinderäume, wurden Fragen zu fünf Themenbereichen, die während der Reise aktuell waren, diskutiert und anschließend folgende Ergebnisse im Plenum präsentiert:

1. Gerechtigkeit: Leider geht die Ungerechtigkeit genauso weiter wie vor 500 Jahren. Aber tröstlich: Die ökonomische Macht ist nicht größer als die Macht des Evangeliums! Gemeinsam sollten die Kirchen den Kampf gegen ungerechte Strukturen führen. Erinnert wurde an das soziale Engagement der Hl. Elisabeth von Thüringen und an Katharina Luther, die immer wieder Leute in ihrem Haus beherbergt und ihnen sogar medizinisch geholfen hatte. Euerbachs Partnerschaftsbeauftragte Sonja Fischer bemängelte die deutsche Politik im Blick auf Waffenexporte und richtete ihren Fokus auch auf den klaffenden gesellschaftlichen Gegensatz zwischen Arm und Reich.

2. 30 Jahre Partnerschaft: Wie sieht sie in der Zukunft aus?: Selbstverständlich muss die Partnerschaft weitergehen, gestärkt, verbreitert und der Kontakt intensiviert werden – hieß es unisono. Nach ihrer Heimkehr will die Gruppe in Rio „vervielfältigen“ (sprich Multiplikator dessen sein), „was wir gesehen und gelernt haben.“

3. Kloster(leben) – immerhin besuchte die Gruppe das Augustinerkloster in Erfurt, das Schwarze Kloster in Wittenberg und übernachtete im Kloster Helfta: Jede/r muss für sich den geeigneten Weg ausfindig machen, wie er/sie am besten Glauben erleben und das Evangelium bestmöglich in der Welt verkündigen kann. Mönche/Nonnen dienen als Vorbilder, denn sie haben Christus „weitergeführt“ und lebendiges Zeugnis von der Nächstenliebe gegeben. Sie haben notleidende und verfolgte Leute bei sich aufgenommen, damit diese zur Ruhe kommen konnten.

4. Martin Luther: Viele emotionale Eindrücke während der Reise wurden geschildert. Luther ist der Reisegruppe näher gerückt, als ihr dies in Brasilien je möglich gewesen wäre. „Luther ist humaner“, hieß es, d.h., der Mensch Luther ist an den Luther-Stätten greifbarer geworden: „ein Revolutionär“, „ein couragierter Mann“. Auch seine enge Partnerschaft mit seinen Mitarbeitern und natürlich mit Katharina kam zur Sprache. Luther habe radikal bestätigt und durchgesetzt, was in damaliger Zeit nötig war, und dafür auch viel leiden müssen.

5. Reformatorische Veränderungen: Welche Auswirkungen der Reformation haben unsere Kirchen – die IECLB und die ELKB – gestärkt? Wo ist heute Reformation nötig? Reformation ist für die Kirchen immer (noch) nötig, aber auch in unserem Glauben sind wir weiterhin reformationsbedürftig. Die Erinnerung an die 95 Thesen, an die Bibel, an Luthers vier Sola („sola fide, solus Christus, sola scriptura, sola gratia“), überhaupt an seine Schriften muss ständig aktualisiert und erkannt werden – und zwar auch sozial und politisch. Pfrin. Grit Plößel (Niederwerrn) wies darüber hinaus auf die – gegenüber der kath. Kirche – durch die Reformation geschaffenen demokratischen Kirchenstrukturen hin, kritisierte aber die oft kopflastig empfundene Kirchenverwaltung: Bitte nur „so viel wie nötig und so wenig wie möglich!“

Sehr persönlich-emotional rekapitulierte Reiseteilnehmerin Ellen Blanke ihre Eindrücke. Sie ist im Dekanat die älteste Partnerschaftsengagierte, sozusagen die „granda seniora“ (so Renate Käser), und war auch schon zwei Mal in Rio de Janeiro mit dabei. „Für mich ist die Brasilienpartnerschaft das wichtigste Ehrenamt im kirchlichen Bereich“, betonte sie. Sie wünschte sich weiteres Wachstum vor allem mit jungen Menschen und ihren neuen Ideen. Was die Creche Bom Samaritano anbelangt, so würde sie diese noch stärker in den Vordergrund gerückt wissen durch mehr Begegnungen mit der Leiterin und auch durch Einbindung der Kinder.

Und was gab Dekan Oliver Bruckmann der Gruppe mit auf den Rückweg?: „Wir dürfen nicht stehenbleiben beim Rückblick von vor 500 Jahren“, betonte er kritisch, sondern es gelte, Luther für heute zu begreifen und mitzunehmen. Statt seiner existenziellen Frage damals: „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“ werde heute gefragt: „Wie komme ich gut an? Wer findet mich gut?“ Und so wie Luther damals die Sprache der Menschen gesprochen habe, damit man ihn mit dem Herzen verstehen konnte, so müsse heute das Evangelium in verständlicher Sprache weitergegeben werden, damit es Antworten liefere auf die neuen Fragen und auch die Menschen bewege. Daher sei die Luther-Bibel an die Sprache der Gegenwart angepasst worden, ohne dabei ihre Tiefe zu verlieren.

Dann überreichte der Dekan jeder der vier Rio-Gemeinden die revidierte Luther-Textausgabe 2017 und wünschte der Gruppe eine bewahrte Heimreise.

Abschließend gestalteten Marc Leistner, Diakon in SW-Christuskirche/Arche und mit für die Dekanatsjugendarbeit zuständig, sowie Prädikant Gerhard Spengler (Obbach) einen Gottesdienst in der Arche. Beide gehörten 2016 zur Brasilienreisegruppe des Dekanats und konnten daher eigene Partnerschaftserfahrungen einbringen. Statt der ihnen zu Ohren gekommenen kritischen Frage mancher Gemeindeglieder: „Was haben wir mit Brasilien zu tun?“ sei besser zu fragen: „Was verbindet uns?“ Leistners Antwort: „dass wird alle Christen sind und in der Gemeinschaft unseres Herrn Jesus Christus leben.“

In seiner Predigt legte der Diakon den sog. Tauf- oder Missionsbefehl Jesu (Matthäus 28,16-20) aus: „Jesus will Gemeinschaft im Glauben schaffen. Darum möchte er, dass wir alle Menschen von ihm und seiner Botschaft begeistern – und sie taufen. Er setzt uns alle in die Verantwortung.“ Doch lasse er uns dabei nicht allein. Da ihm „alle Gewalt gegeben“ sei, könne er auch alles erreichen im Himmel und auf Erden. Fazit: „Lasst uns gemeinsam an diese Worte von Jesus erinnern in unseren Gemeinden, in der Welt und in der Partnerschaft.“

Die um den Altar Versammelten durften nun Gebetsbitten oder -dank auf Zettelchen schreiben und in einen Korb legen, aus dem auf Portugiesisch und Deutsch das Fürbittengebet zusammengestellt wurde, u.a.: „Herr, lass die Gäste gut nach Hause kommen.“ „Danke für die guten Begegnungen.“ „Ich bitte dich für die Zukunft der Partnerschaft: Stärke und begleite du unseren Weg!“ Beeindruckend das bilingual gesprochene Glaubensbekenntnis und Vaterunser, aber auch die bekannten „Reise“-Choräle „Vertraut den neuen Wegen“, „Wohl denen, die da wandeln“ und „Möge die Straße uns zusammenführen“.

Nach dem Segen folgte – noch vor dem Altar – die Ehrung von Organisatorin Renate Käser und von Pfr. Euclésio Rambo – und dies nicht nur für seine gekonnte Simultanübersetzung, sondern für den guten Geist, den er während der ganzen Zeit verbreitet hatte. Zwar reist die Gruppe nach Brasilien zurück, aber das Dekanat Schweinfurt kann stolz sein kann, diesen brasilianischen Austauschpfarrer noch ein paar Jahre behalten und seine Predigten in der Gustav-Adolf-Kirche hören zu dürfen.

(Text und Fotos: S. Bergler)