Dankfeier am Tag der deutschen Einheit
Schweinfurt, 3. Oktober 2014. 25 Jahre friedliche Revolution - 25 Jahre Öffnung der Mauer: Auf der Webseite www.3-oktober.de sind 40 Orte aufgezählt, die dazu Gottesdienste und Aktionen geplant haben, von B wie Bayreuth bis Z wie Zwickau, dazwischen auch Schweinfurt.Â
Die Liste der hier Beteiligten neben dem offiziellen Veranstalter, dem CVJM Schweinfurt e.V., war fast ebenso lang, vor allem spektrenreich: die evangelische Auferstehungskirche am Bergl, die Biblische Gemeinde, Evangelische Allianz, Geistliche Gemeindeerneuerung, Landeskirchliche Gemeinschaft, auch das evangelische Dekanat und das katholische Stadtdekanat. Sogar „Heilige der Letzten Tage“ (Mormonen) wurden gesichtet. Um die Trias Danken – Feiern – Beten ging es allen, obwohl der Anlass eigentlich ein politischer war, nämlich – am Tag der deutschen Einheit – das Gedenken an den Fall des Eisernen Vorhangs vor einem Viertel Jahrhundert.
Bei bestem Wetter hatten sich schon während des nachmittäglichen Vorprogramms alle Sitzplätze auf dem Marktplatz vor dem Rathaus gefüllt. Denn da heizten bereits Musikgruppen mit ebenfalls recht unterschiedlichen Stilrichtungen mächtig ein, die dann auch die Dankfeier mit vielen schmissigen Einlagen auflockerten und bereicherten: unter anderem die Percussiongruppe Samba Areia aus Sand am Main, der Chor Free Gospel Singers aus Zeil am Main und der evangelische Posaunenchor Schweinfurt unter Leitung von Wolfhart Berger.
Gemeindereferent Johannes Michalik von der Auferstehungskirche begrüßte alle und stellte das geistliche Beisammensein unter das Thema „Das Wunder der Freiheit“: geöffnete Grenzen, geeintes Deutschland!
Während Michalik 1989 erst ein Jahr alt war, konnte sich Oberbürgermeister Sebastian Remelé in seinem Grußwort noch sehr gut an jene Tage, als er gerade sein Abitur machte, erinnern. Auch die PKW-Reisen zuvor, zur Tante nach Leipzig, haben sich tief in sein Gedächtnis eingegraben: das beklemmende Gefühl an der DDR-Grenze und wie die Kontrolleure bei der Ausreise mit einem Stück Draht im Benzintank stocherten, um vermeintlich geschmuggelte Menschen ausfindig zu machen. Remelé lobte die gut vertretene Jugend, die Interesse an den politischen Ereignissen damals zeige, und meinte: „Das Wunder der friedlichen Wende hat sicher auch eine religiöse Komponente.“
Genau diesen Akzent setzten die Vertreter der beiden großen Kirchen Schweinfurts in ihren Grußworten: Dekan Oliver Bruckmann artikulierte seinen Dank dafür, in diesem Land als freier Mensch leben und seinen Glauben ungehindert ausüben zu können. Doch in vielen anderen Ländern gebe es Schikane und Verfolgungen von Christen, ja inzwischen selbst in deutschen Flüchtlingsheimen. Christliche Aufgabe sei es, für Frieden und Freiheit zu werben und über den Glauben nicht nur in den inner circles der Gemeinden zu reden, sondern überall, „wo der Herr uns hinstellt, fröhlich die Botschaft zu erzählen.“ Bruckmann wandte sich aber scharf gegen falsch verstandene Toleranz.
Dekan Stefan Redelberger knüpfte an Psalm 126 und die dort geäußerten Bitten um Befreiung aus der Gefangenschaft an. Die Zeit der Euphorie von 1989 sei inzwischen Geschichte. Seitdem hätten die Menschen viel geleistet im Aufeinander-Zugehen. Doch drohe die Gefahr, die Ideologie des Sozialismus gegen die des Kapitalismus auszutauschen. Gott stehe immer auf der Seite der Kleinen und Schwachen und zeige uns damit die Richtung für unser Handeln an. "Der Herr hat Großes an uns getan."
Den thematischen Hauptvortrag hielt ein Zeitzeuge der Wende: Klaus Rudolph, ehemaliger Landesjugendwart und späterer CVJM-Generalsekretär in Sachsen. Stark biographisch gefärbt, zeichnete er zum Teil gar humorvoll die vier Jahrzehnte DDR nach. In den ersten Jahren nach ihrer Gründung sei sie noch kein Unrechtsstaat und in der FDJ-Leitung sogar Christen gewesen. Das habe sich geändert, als unter Stalins Druck SPD und KPD zur SED vereinigt und Restriktionen spürbar wurden. Daraufhin sei eine „Graswurzelbewegung“ entstanden, die sog. „Junge (evangelische) Gemeinde“, die am Ende der DDR-Zeit über 8000 Anhänger zählte.
Ihre „Hymne“, ein Widerstandslied, stimmte Rudolph gleich an: „Wir jungen Christen tragen ins dunkle deutsche Land ein Licht in schweren Tagen als Fackel in der Hand“. Alle animierte er zum Mitsingen des Refrains: „Wir wollen Königsboten sein des Herren Jesu Christ, der Frohen Botschaft heller Schein uns Weg und Auftrag ist.“
Rudolph selbst wurde mit Propagandasprüchen wie „Mit der Sowjetunion siegen lernen“ oder „Nieder mit dem Kapitalismus und den Feinden des Friedens“ vergeblich zu indoktrinieren versucht. Neben Stalins Tod und der Niederschlagung des Arbeiteraufstandes vom 17. Juni 1953 hob er als besonders schwerwiegend die Umwandlung von Privateigentum in gesellschaftliches Eigentum (LPG-Gründungen) hervor, was auch den Friseurladen seines Vaters betraf, sowie die Grenzschließung am 13. August 1961, weil er nicht mehr seine Großeltern im Schwarzwald besuchen konnte.
Bewegend ferner seine hautnah erlebten Eindrücke aus der Wendezeit, vor allem von einer friedlichen Versammlung im Magdeburger Dom, die um ein Haar zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung führte, als draußen Militär zusammengezogen wurde. „Humanität ohne Divinität entartet zur Bestialität.“ Daran habe die DDR schließlich zerbrechen müssen.
Der größte Wendepunkt seines Lebens ist freilich für Klaus Rudolph die Begegnung mit Jesus gewesen. Auf die Frage, für was er in seinem Leben besonders dankbar sei, antwortete er neben dem Verweis auf seine vier Kinder und acht Enkel: „in einem Land mit großer Sicherheit zu leben“. Eigentlich könne er sich nur noch auf die Ewigkeit freuen.
In einer großen Gebetsgemeinschaft wurde sodann dem Himmel Dank abgestattet und Gott als dem Herrn der (deutschen) Geschichte die Ehre gegeben. Auch durften alle Anwesenden auf einer Pinnwand notieren, wofür sie gerade Dankbarkeit empfinden. Es dürfte ganz bestimmt eine lange Liste geworden sein …