Festgottesdienst zum Reformationstag
Schweinfurt, Di. 31. Okt. 2017. Wer kurz vor Zehn kam, musste meinen, der Gottesdienst würde gleich anfangen. Denn viele Menschen aus allen Richtungen strömten schnurstracks im Eilschritt auf das Eingangsportal der St. Johanniskirche zu. Auch das Parkhaus „Graben“ füllte sich rasch. Alternative Parkplätze sind aber in Schweinfurts Altstadt Mangelware. Gut daher, dass das Reformationsjubiläum erst um 10.30 Uhr begann. Noch bis zum Beginn wurden Extrastühle im Chorraum aufgestellt, und auch die waren gleich besetzt. Da diesmal der 31. Oktober ein Feiertag war, besuchten zudem viele Katholiken den Gottesdienst, denn bei ihnen gab es keine Messe zu feiern. So waren Dekan Werner Kirchner/SW-Süd und Pfarrer Joachim Morgenroth/Pfarrei Heilig Geist SW gekommen, von der Evangelisch-Methodistischen Kirche Pastor Andreas Jahreiß, aber natürlich auch Pfarrerinnen und Pfarrer aus dem evangelischen Dekanat, die entweder dienstfrei hatten oder erst abends das Jubiläum in ihrer Gemeinde begingen.
Ja, nach zehn Jahren Luther-Dekade und Lutherjahr 2016/17 war nun endlich exakt der Tag da, auf den die Evangelischen landauf landab mehr oder minder hingefiebert hatten: Am Vorabend des Allerheiligenfestes vor 500 Jahren soll Martin Luther seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel an die Tür der Wittenberger Schlosskirche geheftet und dadurch die Reformation ausgelöst haben, die dann zur Spaltung der Kirche führte. In Deutschland, dem Ursprungsland der Reformation, haben zwar 23,5 Mio. Katholiken und knapp 22 Mio. Evangelische wohl bald ein Patt erreicht; weltweit stehen aber 425 Mio. Protestanten 1,2 Milliarden Katholiken gegenüber.
Aber was heißt „gegenüber“? Dekan Oliver Bruckmann machte in seiner Begrüßung des vollen Hauses deutlich, dass, um „in Freiheit Zukunft zu gestalten“, heutzutage nicht mehr in Abgrenzung gedacht werden dürfe, sondern es um unsere gemeinsame Berufung gehe. Auch erinnerte er noch einmal an die reformatorischen Gedanken, vor allem an die Neuentdeckung „der Freiheit, die der christliche Glaube schenkt“: „Nicht wir, nicht Gut und Geld machen selig, sondern allein Christus, allein die Gnade, allein die Schrift, allein der Glaube.“
Genau diese Assoziationen griff Festpredigerin Regionalbischöfin Gisela Bornowski auf: „Wir feiern Reformationsjubiläum, nicht etwa nur ein Reformationsgedenken wegen der Spaltung der Kirche. Sondern die Wiederentdeckung des Evangeliums durch Martin Luther feiern wir.“ An diesem Tage dürften wir stolz sagen: „Ich bin gerne evangelisch.“ Und dann nannte auch sie die vier lutherischen Sola: „Wir sind gerettet allein durch Christus“, wozu es keine Heiligen, keine Bischöfe und keinen Papst brauche. „Gratis schenkt uns Gott sein Heil.“ Die (Heilige) Schrift bedürfe keiner Ergänzung durch kirchliche Überlieferung oder Würdenträger. Hierin habe das Priestertum aller Getauften seinen Ursprung. Und der Glaube, das Vertrauen auf Gott, lasse uns „befreit vorangehen“. Ja, das Evangelium wolle immer neu ergriffen werden und uns zur Einheit führen in versöhnter Verschiedenheit. Der Bischöfin ging es nicht um eine Einheitskirche, aber sie machte unmissverständlich klar: „Wir leben im ökumenischen Zeitalter, und es gibt kein Zurück mehr.“
Dann stellte sie Gedanken zum Lied der Reformation „Ein feste Burg ist unser Gott“ an. Leider sei es oft missbraucht worden, etwa wenn im Ersten Weltkrieg die Franzosen zum „alt bösen“ Feind degradiert wurden oder wenn „das Reich“, das „uns doch bleiben“ müsse, mit dem Dritten Reich in eins gesetzt und Hitler als „der rechte Mann, den Gott hat selbst erkoren“, bezeichnet wurde. In Wirklichkeit sei es "ein Trost- und Ermutigungslied".
Als Luther das Lied um 1528 dichtete, habe er unter Depressionen, Angst und Selbstzweifel gelitten. Wo ist ein sicherer Ort?, sei seine Frage angesichts der gerade in Wittenberg wütenden Pest gewesen, und die Antwort im 46. Psalm „Gott ist unsere Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten“ habe ihn zu vier Strophen von der festen Burg inspiriert.
Luthers Situation vergleichbar werde heute allenthalben der Ruf nach mehr Sicherheit laut, aber absolute Sicherheit gebe es nicht. Diffuse Lebensangst scheine die Menschen umzutreiben. Wie zerbrechlich das Leben doch sei! Die Bischöfin: „Nur Gott schenkt uns Geborgenheit. Bei ihm sind die bohrenden Fragen aufgehoben.“ Die Einsicht, dass „mit unsrer Macht“ „nichts getan“ sei, wirke befreiend.
Und ein hoch christologischer Schlussakkord: Das Opfer Christus behalte das Feld und trage den Sieg davon. Somit teile Gott unsere Angst und Unsicherheit und schenke heiles Leben durch Christi Auferstehung – das Lebenswort! „Das letzte Wort über dein Leben ist Christus. In ihm ist dir Gott liebevoll zugewandt. Du bist niemals allein.“
Anschließend kam unter Leitung von Kirchenmusikdirektorin Andrea Balzer die Bach-Kantate „Ein feste Burg ist unser Gott“ (BWV 80) zur Aufführung. Dazu war die Kantorei St. Johannis um weitere Sängerinnen und Sänger verstärkt worden, die am Wochenende eigens für diesen Auftritt geprobt hatten. In bewährter Weise begleitete das Kammerorchester Pfaffenhofen den Chor. Solisten waren Inga Hansen (Sopran), Carolin Cervino (Alt), Andreas Klinger (Tenor) und Sven Fürst (Bass).
Und als wollte man sich nur ungern vom Lutherjubiläum verabschieden, wiederholte das Ensemble am Ende des Gottesdienstes, nachdem die Bischöfin den Segen gespendet hatte, noch einmal die Maestoso-Eingangschor-Strophe von der festen Burg. Frenetischer Applaus. Der Dekan lud zum Stehempfang in der Kirche ein, womit nun endgültig das denkwürdige 500-Jahr-Datum ad acta gelegt werden bzw. in Schweinfurts jüngste Kirchengeschichte eingehen konnte.